Spaß und Ernst – Sport und Budo

Ein Widerspruch?

100 Jahre nach Ende des 1. Weltkrieges wurde vor kurzem vor allem in den Medien des deutschen Sprachraumes vieles aufgearbeitet. Immer mehr wurde klar, dass Nationalismus und die damit schnell verbundene Überheblichkeit bis hin zum Hass keine Gewinner erzeugt, sondern nur unsägliches Leid. Dies erkannte vor mehr als 2500 Jahren schon der große Stratege Sun Tsu und mahnte folglich zur Zurückhaltung beim Anzetteln von Kriegen, ja sogar dazu den besiegten Gegner gut zu behandeln und ihn keinesfalls zu demütigen, wollte man an dem Ergebnis, etwa dem Sieg auch seine „Freude“ haben.

Existenzieller Kampf: David gegen Goliat

In den Kämpfen zwischen den frühzeitlichen Menschen ging es vornehmlich um Raum und/oder Nahrung und damit um die reine Existenz. Dieser noch ernsthafte Wettbewerb geht zurück bis in die Evolution: die überlegene Spezies überlebt … Und auch wenn später jener direkte Kampf um Recourcen schon über weite Zeit schon nicht mehr nötig war, förderten die Religionen zur Genüge Feindbilder und forderten von den Menschen, die jeweils vorherrschende Gottheit als überlegen anzunehmen. Das entsprechende Volk war dann von dem jeweiligen Gott beschützt oder zumindest bevorzugt.

Übungskämpfe – von Menschen bei Katzen meist als „Spiel“ angesehen.

Bereits bei vielen Tierarten insbesondere den höheren Säugetieren sind gleichsam rituelle Kämpfe üblich, meist zwischen geschlechtsreifen Männchen um die Gunst der Fortpflanzung, aber auch solche um Resourcen oder Territorien. Jedoch geht am Ende der Unterlegene nie zugrunde. Ein vom Artgenossen Besiegter liegt auf dem Rücken und präsentiert seinen verletzlichen Bauchraum oder die Halsregion. Der Sieger nutzt dies aber keinesweg aus – das wäre menschlich – sondern wendet sich lediglich ab, denn der Fall ist geklärt. Nicht wenige Menschen neigen in einer analogen Situation zum gegenteiligen Verhalten. Und auch wenn der Sieger hier nicht zusticht, zuschlägt oder die Pistole abdrückt, in der Regel sind Schmach und Häme die Folge des Unterlegenseins, selten aber Äußerungen von Mitgefühl, von Respektbekundungen gegenüber dem Besiegten ganz zu schweigen. So hat im menschlichen Umfeld jedweder Sieg schnell einen bitteren Beigeschmack.

Sumo: einst tödlicher Kult, heute lukrativer Profi-Sport.

Um nun unnötiges Leid (auch materiell-wirtschaftliches!) durch kriegerische Auseinandersetzungen zu vermeiden wurden schon früh Verfahren eingeführt, bei denen nach dem Motto „Sollen die Götter entscheiden“ eingeführt, um die Überlegenheit von Gruppierungen, d.h. Clans oder Völkerscharen, festzustellen, bei denen einzelne Personen stellvertretend für alle kämpften. Nach der so „offensichtlichen“ Überlegenheit einer Partei wurden deren Interessen bevorzugt behandelt. Solche Götterentscheide standen jedoch in ihren Anfängen den realen Kämpfen in den Schlacht in Brutaliät kaum nach. Erst im Laufe der Zeit wurden Kriterien für einen Sieg festgelegt, die das Überleben des unterlegenen Gegners ermöglichten und somit bestimmte besonders gefährliche Aktionen untersagt wurden. Es enstanden so Regeln, welche letzlich hinführten zu den sportlichen Wettkämpfen, bei denen es dann nur noch um solch zweifelhafte Ideale wie Ruhm und Ehre ging. Letztlich lief das ganze daher doch auf eine wenn auch subtile Überlegenheit, nämlich innerhalb des sozialen Umfeldes durch das hinzugewonnene Ansehen hinaus. Die Praxis zeigt: Nur wenige erfolgreiche Sportler bleiben bescheiden …

Frühe Sportarten: sich zur Freude anderer auf die Glocke hauen.

Da deratige Spiele um Ruhm und Ehre auch den Zuschauern Freude und eine Ablenkung von der alltäglichen Last des Daseins bescheren, wurden diese schon im alten Rom bewußt veranstaltet und bis ins Detail durchorganisiert. Im Mittelalter entdeckte dann der Adel selbst in solcherart Tätigkeit, d.h. im Wettstreit ohne offensichtlich Notwendigkeit eine Möglichkeit sich von den vermeintlich anstrengenden Politik- und Tagesgeschäften ablenken zu können. Für diese emotional-körperlich-geistige „Zerstreuung“ wurde im französischen Sprachraum der Begriff „disport“ gebraucht, in Anlehnung an das lateinische disportare, in etwa „auseinandertragen“ (In meinem ersten Buch ist mir bei der Erklärung zur Abstammung dieses Wortes durch eine falsche Quelle ein kleiner Fehler unterlaufen; deportare = „wegtragen“ meint etwas anderes).

ernsthaftes Kämpfen mit Schutzausrüstung

In Japan hatte man diesbezüglich viel rationalere Ambitionen. Auch wenn Ruhm und Ehre dabei durchaus eine Rolle spielten, so ging es bei dem Vergleich zwischen den einzelnen Schwertkampfschulen vornehmlich darum Schwachpunkte in der eigenen Technik bzw. Trainingsmethodik zu erkennen. Und wenn man etwas von den Erkenntnissen umsetzen wollte, so durfte man sich vorher nicht umbringen lassen, weshalb die scharfen Schwerter durch solche aus Holz ersetzt wurden. Da es aber auch mit diesen zu mitunter sehr schweren Verletzungen durch harte Schläge kam, wurde später der Shinai aus Bambus entwickelt, dessen Treffer immer noch wehtun, aber nicht mehr die Knochen zertrümmern. Ein klares Regelwerk vereinfachte das ganze Prozedere. Sinn und Zweck eines Taikai war es daher weniger ruhmreiche Sieger zu kühren als vielmehr aus den Fehlern der Verlierer zu lernen. Ob das ganze jemandem in irgend einer Form Spaß bereitete, sei dahingestellt – ich meine, wohl eher nicht.

mit Ernst dabei

Denn die Samurai waren ja gehalten sich nicht in niederen Emotionen zu verlieren. Auch dies aus ganz pragmatischen und weniger ethisch-moralischen Gründen. Ein allzu von Gedanken und Gefühlen getrübter Geist ist nicht frei („leer“) und kann somit kaum angemessen auf die Aktionen des Gegners/Feindes reagieren. Nicht von ungefähr kommen daher solch markante Maxime wie „den wahren Krieger interessieren weder Sieg noch Niederlage“.

Natürlich wäre auch das Karate als Kampfkunst ganz ohne Übungskämpfe recht fragwürdig, denn gestellte Situationen im Rahmen der determinierten Partnerübung (yakusoku-kumite) entsprechen nie der Realität. Zudem sind all unsere Formen des Kumite zu einem beträchtlichen Grad formalisiert und ähneln daher schon fast einem Ritual. Dies war sicher nicht so ganz ungewollt, denn deren Schöpfer wollten ihre Kunst ja – den Anforderungen ihrer Epoche entsprechend – von einer kompromisslosen Form des Überlebens zu einen Budō mit höheren Werten umformen und dies auch nach außen hin darstellen.

Humor hilft mitunter zur rechten Distanz und damit dem Fanatismus vorzubeugen.

Aber auch die Bedingungen eines Übungs- bzw. Wettkampfes gehen weit an denen einer wirklichen Gefahrensituation vorbei! Denn allen Teilnehmern von Turnieren muss bewusst sein, dass es nicht darum geht den Kontrahenten, d.h. einen Sportkameraden zu schaden, sondern sich durch eine möglichst brillante Performance hervorzutun, was dann zunächst durch Punkte und am Ende gegebenenfalls durch eine Medaille oder einen Pokal belohnt wird. Der Bessere möge gewinnen, heißt es daher seit der Antike. Bezüglich des Zusatzes „Der Sieg ist nicht wichtig; dabei sein ist alles.“ tat ich mich jedoch, so muß ich gestehen, zumindest emotional immer ein wenig schwer.

Alle haben Freude – zumindest dem Anschein nach.

In der Konsequenz des Ausgangs liegt ein gravierender Unterschied zu einem Kampf um die Existenz: In einem Turnier ist man so man verliert enttäuscht oder auch traurig, nach einem verlorenen realen Kampf jedoch ist man im besten Fall der Habe verlustig, meist aber schwer verletzt, wenn nicht sogar tot. Die Folgen sind demnach komplett andere und entspechend unterscheidet sich die mentale Einstellung im Rahmen eines Wett- oder „Ritual“kampfes erheblich von der einer gewaltsamen Auseinandersetzung, bei der es ums Überleben geht. Budō lehrt nicht ohne Grund letztere unter allen Umständen zu vermeiden, einfach weil am Ende die Verluste zu hoch sind. Denn auch wenn man den Sieg davonträgt, so bleiben doch auch bei einem selbst, abgesehen von praktisch unvermeidlichen Blessuren, negative Gemütsregungen wie einer subtilen Unzufriedenheit über Trauer bis hin zur Häme zurück. Auf jeden Fall jedoch keinerlei Glücksgefühle.

Spaß an der Freud´ motiviert mitunter erheblich.

Im Falle einer gewaltlosen Konfliktlösung können jedoch alle Beteiligten am Ende gewinnen. Das zu verstehen fällt leider nur allzu vielen recht schwer, ebenso wie den grundsätzlichen Unterschied der Bedingungen zwischen Ritual- und Überlebenskampf. So sind nach wie vor nicht wenige der Meinung ein Champion wäre gleichzeitig ein guter Kämpfer in der Kneipe oder auf der Straße. Aber das genaue Gegenteil ist die Regel, wobei Ausnahmen diese nur bestätigen. Die im Übungs- und Wettkampf zu Recht geforderte und bis zur Unbewusstheit eingeübte Kontrolle der Technik behindert im Ernstfall deren effektvolle Ausführung.

Möglicherweise waren Meister wie Gichin Funakoshi unter anderem auch deswegen gegen Übungs- und damit auch Wettkämpfe: weil durch deren Praxis die klare Einstellung bezüglich des Überlebens als Zielsetzung des Kampfes verwässert würde. Kämpfe nach Regeln verhindern, dass das eigene Potenzial wirklich ausgeschöpft werden kann. Sie sind aber heutzutage ein wohl notwendiger Kompromiss um sich überhaupt irgendwie taktische Fähigkeiten wie Reaktion und Timing zu aneignen zu können.

Spielszene …

Die Teilnahme an Turnieren soll Freude bereiten, zumindest war dies die Grundidee des Sports. Aber auch hier ist, wie in allen Bereichen des Lebens, keine Perfektion zu erwarten, denn es regiert das Unrecht auf allen Ebenen, was den Spaß nicht selten beträchtlich einschränkt und, man könnte auch sagen, für Ärger sorgt. Als Teilnehmer wurde ich nur allzu oft fälschlich gemaßregelt oder aber durch Punkte für eigentlich unzureichende Techniken belohnt. Ich erinnere mich noch sehr gut wie ich einen Kampf verlor weil all meine Techniken angeblich „zu schwach“ waren und der Gewinner mich später in der Umkleide humorvoll und auf freundschaftliche Art (!) auf die von mir verursachten roten Markierungen an seinem Körper hinwies. Später als Schiedsrichter war dann auch ich an Urteilen beteiligt, die teilweise zu Recht von Coaches und Publikum angezweifelt wurden.

… fast wie im Aktsch-Fuim – auch das macht Spaß.

Meister Fritz Nöpel erklärte uns in einem seiner immer wieder bereichernden Seminare, wie in früheren Zeiten die Kontrahenten von Übungskämpfen sich gegenseitig über die Trefferqualitäten des Kameraden austauschten. Dies diente einem längerfristigen Fortschritt beider und war daher weitgehend frei von kurzsichtigem Konkurrenzdenken. Allerdings stellte ein solches Verhalten hohe Anforderungen an die Charakterstärke der Beteiligten.

Was lernen wir aus all dem? Schön wäre es wenn wir (wieder) vermehrt in der Lage wären eine kritisch-humorvolle Distanz gegenüber den ernsten Dingen zu waren, aber auch wenn wir es schafften zu verhindern, dass der Spaß allzu zu oberflächlich wird. Wer einmal beobachtet hat oder dies noch aus eigener Erinnerung weiß, mit welchem Ernst Kinder in der Lage sind zu spielen, versteht das Problem vieler Erwachsener, die dies scheinbar verlernt haben. Auch die emotionalen Konsequenzen, wenn die Regeln des jeweiligen Spiels verletzt werden kennen wir.

Aus Spaß wird nur allzu schnell Ernst.

Jedwedes Spiel hat einen wenn auch mitunter stark im Verborgenen liegenden ernsten Hintergrund. Wir sollten nur darauf achten, dass sich die Ebenen nicht umkehren und uns die ernsthafte Sicht nicht den Spaß verdirbt. Denn ohne Spaß macht das ganze keine Freude. Andersherum gilt es auch aufzupassen, dass der Spaß nicht überhand nimmt. Das altchinesische Konzept der 5 Wandlungsphasen (5 Elemente) veranschaulicht dies. Wenn das Feuer der Euphorie außer Kontrolle gerät, dann schädigt es das Herz oder vielleicht sagen wir lieber: das Gemüt. Durch das Kontrollelement Wasser könnte es vehement heruntergekühlt werden, etwa durch tragische Informationen über einen Unfall oder den Tod eines Angehörigen, was demnach einem recht drastischen Stimmungsumschwung gleichkäme und somit eigentlich weniger wünschenswert ist. Weit gedeihlicher ist jedoch die Wandlung von Feuer zu Erde, etwa wenn man vom Überschwang der Freude rechtzeitig auf den Boden der Tatsachen zurückkommt und das klare Denken wieder einsetzt.

5 Wandlungsphasen

Ein gravierendes Problem auch und nicht nur des Sports war zu alle Zeiten der Fanatismus, das Missverstehen und Verabsolutieren gegebener Zielsetzungen, verbunden mit dem Wunsch nach „Überlegenheit“ und dem Blindwerden für Bedürfnisse anderer, die sich nicht mit den eigenen decken. Das Recht auf die eigene Position (Überzeugung, Glauben) oder für sie zu kämpfen darf nicht dazu führen Andersdenkende/-fühlende vernichten oder zu unterwerfen zu wollen. Die rechte innere Distanz zur eigenen Tätigkeit, die Fähigkeit zur Selbstkritik und die über sich selbst zu lachen schützen uns vor jedwedem Fanatismus. Ein solcher führt immer zu einem Leben ohne Freude. Wollen wir dies? Der mittlere Weg wäre das Stichwort.

Im Dōjō- und Vereinsleben führt fehlendes Verständnis für die Interessen der anderen  nicht selten zur Unzufriedenheit, was bewirkt, dass Mitglieder eines Vereins fortgehen oder dass fortgeschrittene Schüler ihr Missfallen offen äußern und somit für Unfrieden sorgen. Oft werden die Ziele des Trainings nicht klar genug definiert und die Teilnehmer verlieren kostbare Zeit ihres Lebens, wenn sie z.B. für den Wettkapf üben, obwohl sie beim Eintritt in den Verein (oder die Privatschule) doch eigentlich eine wirksame Form der Selbstverteigung oder gar Spiritualität such(t)en.

Spaß vertragen ist manchmal nicht ganz so einfach.

Zumindest erging es mir so. Ich hatte über viele Jahre meine Probleme damit, weil mir lange nicht klar war, dass das Gros der Karateka eben den Sport will, also Turniere und den angeblich dazu gehörenden Spaß, während es mir von Anbeginn um eine wirksame Methode des Kampfes ging. Heute bin ich weiter. Vor allem habe ich sowohl die Grenzen des heutigen Karate als Form des Kampfes erkannt, als auch dessen gravierende Unterschiede zum sportlichen Wettstreit. Auch sehe ich das ganze zunehmend gelassener, da ich weiß, dass auch mögliche, mir „feindlich“ gesinnte Kontrahenten die gleichen prinzipiellen Schwierigkeiten wie ich haben würden, in solch einer realen Konfliktsituation ihre technischen Ideale (sofern vorhanden) in wirksame Reaktion umzusetzen. Mit anderen Worten, ich habe die Suche nach dem „ultimativen System“ längst aufgegen, denn es existiert nicht.

So wünsche ich allen Leser/innen schöne und vor allem freudvolle Advents- und Weihnachtstage, aber auch, ob nun gläubig-fromm oder nicht, dass es gelingen möge den ernsten Hintergrund von all dem mit ihnen verbundenen lustigen Treiben zu erkennen und nicht zu vergessen.

Über Roman Westfehling

Dr. rer. nat. , Diplom-Chemiker, Heilpraktiker, Traditionelle Chinesische Medizin, 5. Dan Shito-Ryu Karate-Do, Autor der Bücher "Karate als Budo", Verlag Werner Kristkeitz, und "Die Form des Karate", erschienen im Palisander Verlag.
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